Schadet tragen dem kindlichen Rücken? Warum trägt man aufrecht und nicht liegend?

Copyright by Tragenetzwerk
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Tatsächlich gehört die Sorge um Babys Rücken zu einem der häufigsten "Gegenargumente" bzgl. des tragens. Die aufrechte Position im Tragetuch schadet angeblich der kindlichen Wirbelsäule. Was ist an dieser Aussage dran? Ammenmärchen oder Wahrheit?

 

Eine Fragestellung, bei der sich - wie in meinen anderen physiotherapeutischen Rubriken -

 ein Blick auf die anatomischen Gegebenheiten lohnt:

 

 

 

 

 

 

 

Aufbau der Wirbelsäule:

Unterschied zwischen der kindlichen und erwachsenen Wirbelsäule:

 

Die WIRBELSÄULE EINES ERWACHSENEN MENSCHEN ist doppelt S-förmig gebogen. Die beiden nach vorne zeigenden Biegungen am Hals sowie im Lendenbereich bezeichnet man als Lordosen. Die nach hinten zeigenden Biegungen im Brust- und Kreuzbeinbereich bezeichnet man als Kyphosen. Insgesamt besteht die Wirbelsäule aus 24 Wirbelkörpern + Kreuzbein + Steißbein. (Siehe Skizze). Diese doppelte S-Biegung ermöglicht eine aufrechte Position, eine federnde Stabilität und symmetrische Beweglichkeit. Jeweils zwischen den einzelnen Wirbeln befinden sich die gelartigen Bandscheiben, die stoßdämpfend arbeiten. Längsverlaufend im inneren der Wirbelsäule verläuft ein großer Nervenkanal, aus welchem sich die großen, innervierenden Arm-, Rumpf- und Beinnerven abzweigen. Gestützt und bewegt wird das knöcherne Wirbelskelett durch unzählige große und kleine Muskeln.

 

Die WIRBELSÄULE EINES NEUGEBORENEN muss sich im Laufe des 1 Jahres erst entwickeln. Zwar sind natürlich bereits alle Wirbelkörper vorhanden, jedoch ist – wie bei allen knöchernen Strukturen im Körper- zunächst noch alles weich und formbar. Die Wirbelsäule ist zunächst den Gegebenheiten im Mutterleib angepasst. Dort lag der Fetus nahezu eingerollt im Fruchtwasser. Eine aufrechte, gerade Position war hier weder möglich noch nötig.

 

Kommt ein Baby zu Welt, spricht man daher oft von einer „gerundeten Wirbelsäule“. Hier entsteht jedoch leicht der Eindruck, die Wirbelsäule wäre tatsächlich rund. Das ist so nicht richtig. Die Wirbelsäule eines Neugeborenen ist eigentlich verhältnismäßig gerade, d.h. sie besitzt noch keine Lordosen im Hals und Lendenbereich. Durch die leichte Kyphose der Brustwirbelsäule entsteht dabei die vermeintliche Krümmung. Das ist physiologisch und bis mindestens zum Ende des 1. LJ wünschenswert.

Entwicklung der kindlichen Wirbelsäule

 

Mit ca. 3-4 Monaten beginnt ein Baby ganz automatisch den Kopf zu heben und seine Umwelt zu erkunden. Mit dieser Entwicklung bildet sich die Biegung im Halsbereich aus.

 

Mit ca. 8-9 Monaten beginnt das Baby sich aufzurichten. Zunächst gelangt es selbstständig in den Sitz, wenig später zieht es sich in den Stand und läuft los. Mit dieser grundlegenden Positionsveränderung bildet sich nun auch die Biegung im Lendenbereich aus, um den kleinen Körper in der Aufrechten stabil und gerade halten zu können.

 

 

 

WICHTIG: Diese Entwicklungsschritte verlaufen nach und nach. Jede Einzelstufe der Entwicklung ist wichtig, damit sich die knöcherne Struktur verdichten kann und ein stützendes Muskelskelett aufbauen kann. Ein Baby frühzeitig hinzusetzen führt keinesfalls zu einer schnelleren Entwicklung oder einem verbesserten Muskelaufbau. Zu frühes Aufrichten kann im schlimmsten Fall sogar Schäden an Babys Wirbelsäule anrichten! Die Natur gibt das Tempo vor!

 

Mama sagt:

 

"Es gibt nichts wichtigeres als Nähe.

Tragen vermittelt Nähe und baut Bindung auf,

was gerade in der Eingewöhnung eines Kindes wichtig ist.

Ein Kind wird durch tragen nicht verwöhnt,

es spürt pure Zuneigung und Liebe."

 

Nicole, Tagesmutter, Trageerfahrung mit dem Bondolino

 

Warum ist aufrechtes Tragen unproblematisch?

 

Aufrecht hinsetzen, ohne dass ein Kind sich selbst aufrichten kann ist ungesund. Aufrechtes Tragen nicht. Wo ist der Unterschied? Ganz einfach: „Gestütztes Tragen“ lautet das Zauberwort. Einer der entscheidenden Vorteile eines Tragetuchs oder einer guten Tragehilfe ist die gute Anpassungsfähigkeit an Babys Rücken und damit die stützende Funktion. Die Tuchbahn lässt eine gerundete Position zu, wie sie von Babys Rücken vorgegeben wird, stützt diese aber in aufrechter Position optimal ab, sodass keine unphysiologische Haltearbeit geleistet werden muss. Ein klarer Vorteil dem Kinderwagen gegenüber, der eine ungestützte, wenig gepufferte und viel zu gerade Wirbelsäulenform forciert.

 

 

Die Wiegeposition:

Eine Alternative zum aufrechten Tragen?

 

Eine Zeit lang hat man aus Unsicherheit vor etwaigen Schäden durch das aufrechte Tragen in der Wiegehaltung getragen. Die Kinder wurden also liegend vor dem Bauch der Mutter in ein Tuch gelegt. Ich bin kein Freund dieser Position, da man hier sehr exakt binden muss, damit man keinen negativen Einfluss auf die Atemsituation, sowie die Hüftgelenke ausübt. Zudem bietet eine aufrecht gebundene Trageweise deutlich mehr Stabilität und Sturzprophylaxe.